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Inputs aus dem Pfarramt
«Denn König der ganzen Erde ist Gott» - Gedanken zum eid. Dank- buss und Bettag 2024
Von Pfr. Johannes C. Keller
Vorweg zwei biblische Zitate:
Jesus antwortet, auf die Frage, ob man (als Jude) dem römischen Staat Steuern zahlen müsse: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mk 12.17)
Psalm 47 deklariert Gott als grossen König, dem (schliesslich) alle Völker entgegenlaufen werden in Jerusalem: „Denn König der ganzen Erde ist Gott. Singt ein festliches Lied! Gott ist König über die Nationen, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron.“ (Ps 47.8-9)
Gedanken:
«Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.» Dieses Zitat von Friedrich II., dem König von Preussen, stammt aus dem Jahr 1740. Es steht für Toleranz und Offenheit in einer Zeit, als Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen miteinander noch gewaltsam konkurrierten in Europa. Ebenso war es die Zeit, als die Aufklärung die Religion in ihrer Bedeutung in Frage stellte. Als die eidgenössische Schweiz 1848 ihre erste Bundesverfassung verabschiedete, konnte damit Frieden geschaffen werden zwischen den sehr zersplitterten konfessionellen und politischen Lagern auf dem Gebiet der als Bundesschweiz zusammengeschlossenen Kantone. Der Bettag, der zuvor schon mehrfach, besonders nach Kriegen und Katastrophen, begangen wurde, bekam einen Stellenwert für die Friedenspolitik und den Zusammenhalt der Eidgenossenschaft. Als ökumenischer Feiertag, der nicht von der Kirche, sondern vom Staat vorgegeben wurde, stellte der das Gemeinsame der Konfessionen über das Trennende. Beten können Menschen auch dann miteinander, wenn sie Gott unterschiedlich verehren. Der Gedanke: Wer miteinander betet kann nicht gegeneinander Krieg führen. Darum begehen wir den Bettag bis heute mit dem Singen des Schweizer Psalms, mit der Schweizer Fahne am Kirchturm und unter dem ökumenischen Gedanken, dass das Gelingen religiöser Vielfalt ein Grundrecht der Eidgenossenschaft ist. Jeder nach seiner Fasson.
Wie kann man Fasson übersetzen? Art, Stil, Manier, Eigenheit, Machart. Die eigene Art und Weise des Glaubens einer Konfession wird nicht aufgelöst oder vermischt. Der Staat sagt einfach: Kommt miteinander aus, sucht das Gemeinsame, lasst euch nebeneinander gewähren.
Die eigene Konfession, was auf Deutsch «Bekenntnis» heisst, die Art, wie eine Kirche ihren Glauben lebt, das alles bleibt. Vielfalt bedeutet: verschiedene Farben, die zusammen ein buntes Bild geben. Unvermischt, unaufgelöst, aber im Gespräch miteinander. Neugier aneinander. Verständnis füreinander. Es ist Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates, dass die religiöse Freiheit und die sich daraus ergebende Vielfalt gewährt ist.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! „Hatte Jesus auf die Fang-Frage geantwortet, die die Religionswächter Israels ihm gestellt hatten. Ob man dem Kaiser Steuern zahlen müsse, fragten sie. Ihr Hintergedanke: würde Jesus sagen, dass man dem Kaiser verpflichtet sei, dann würden sie ihn vor dem Hohen Rat am Tempel wegen Blasphemie verklagen. Würde er sagen, dass ein Kind Gottes nur Gott allein verpflichtet sei, dann hätten sie ihn bei der römischen Verwaltung anzeigen können.
Der Kaiser war ein absolutistischer Herrscher. Er sah sich als Gott. Ein Gott, den man bezahlen musste und für den man Opfer bringen musste. Kein Gott für Israel und kein Gott für die Jünger Jesu und die Anhänger des Gottes der Gnade und Barmherzigkeit. Doch Jesus sagte: Jedem das, was ihm zusteht: Dem einen Steuern und Geld. Dem anderen das Herz und den Glaube.
Eine kluge Antwort, die keine Klage zuliess. Keine Vermischung. Nebeneinander stehen lassen, was miteinander auskommen kann.
Der andere Text, der unser Nachdenken heute anregen soll, ist ein altes Königslied. Psalm 47. Ein Lied für Gott, dem König der Welt. Öfters wird Gott in der Bibel als König angerufen. Auch Christus, zu Deutsch «der Gesalbte», unser Messias, ist ein König. Unser König. Wie passt das mit dem zusammen, was wir eben gehört haben? Mit der Freiheit des Glaubens? Mit dem Miteinander der Religionen im Staat?
Es wird vielleicht etwas klarer, wenn wir zurück in die Zeit der ersten Bundesverfassung gehen oder noch weiter zurück an den Preussischen Königshof Friedrich des Grossen. Als Beispiel möchte ich den Musiker und Komponisten Heinrich August Neithardt nennen. Er lebte von 1793 bis 1861 und komponierte unter anderem eine Vertonung des 47. Psalms. Eine musikalische Bereicherung des Gottesdienstes am Bettag 2024 in der Kirche in Pfungen zu hören. Neithard verstarb als Beamter am Preussischen Königshof in Berlin. Seine Biografie verbindet den Weg hin zur Schweizerischen Bundesverfassung mit dem Toleranzgedanken der Preussischen Könige. Wie die Menschen seiner Zeit, war auch sein Leben vom Krieg geprägt. Wie die anderen Menschen auch, träumte er vom Frieden. Doch wirklicher Friede ist nur bei Gott, wussten die Menschen. Die Welt der Gegenwart ist unvollkommen. Sie ist von Krieg und Krankheit, von Leid und Tod geprägt. Eine stabile Regierung vermag das einzudämmen. Doch Erlösung bringen kann nur Gott. Darum ist für Christinnen und Christen der HERR König und Jesus Christus der Messias derer, die auf ihn vertrauen. Ein Gott, der Krieg beenden wird, wo Menschen es von sich aus nicht tun. Macht, Geld, Land, der ewige Drang des Menschen, stärker zu sein als die anderen – kurz: das Böse und der Satan in der Welt – können nur von Gott besiegt werden.
Lese ich dann, wenn ich tiefer in Psalm 47 einsteige, dass Gott die Nationen unter die Füsse des Gottesvolkes bringen wird, so lese ich das aus jener Perspektive. Gott wird Frieden schaffen – auch für die, die sich nicht lösen vom Teufel in der Welt. Gott wird sie zwingen, sich von der Versuchung zu lösen, andere Völker zu versklaven, zu unterdrücken und zu töten. Gott wird am Ende die Völker in Frieden zusammen bringen in Jerusalem, sagt das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung. Aus dieser apokalyptischen Perspektive her gesehen wird Psalm 47 für mich zum königlichen Psalm meines Friedens-Gottes.
Wir leben heute im vermutlich friedlichsten Land der Erde. Die Schweiz ist kein Gottesgeschenk. Sie ist ein aus der Vernunft und der fürs 19. Jahrhundert bahnbrechenden Erkenntnis, dass nur Toleranz in der gegenwärtigen Welt Frieden bringen wird, entstanden. Ihre Wurzeln sind die Erfahrungen der blutigen Kriege um die Vormachtstellung der Konfessionen. Doch nach dem Krieg kam die Versöhnung. Sie kam aus dem christlichen Gedanken heraus, dass nur Gott der eine König der Gnade und der Barmherzigkeit ist. Wenn die Menschen sich als gläubig und fromm bezeichnen, dann werden sie darauf vertrauen, dass die Gnade allen Menschen gilt, wenn sie vom Geist berufen werden. Das Urteil zu sprechen ist allein dem wahren König der Welt vorbehalten. Doch sein Reich ist nicht von dieser Welt. Darum hoffen wir auf sein Kommen. Und wenn der HERR kommt, dann werden die Völker in Frieden leben. Geben wir unser Bestes, dass auch heute schon etwas von dem werden kann, was einst sein wird. Es ist genug Platz in unserem Land für viele bunte Farbtupfer. Sie können unvermischt nebeneinander bestehen. Denn das Land gehört nicht den einen oder den anderen. Doch das eigene Bekenntnis schon. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und Singt Gott, singt! Singt unserem König. Ehre Gott in der Höhe und Friede auf Erden. AMEN
Geh’ aus, mein Herz, und suche Freud! Reise-Gedanken
Ferien-Gedanken von Pfarrer Johannes Keller im Juli 2024
«Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“ – der Ausspruch von Matthias Claudius (1740-1815) ist Ihnen sicher bekannt.
Reisen lässt uns die Welt entdecken. Mit allen Sinnen. Mit den Augen: Wir sehen andere Städte, Landschaften, das Meer, die Berge. Es sieht anders aus, als bei uns zu Hause. Welche Farben haben die Häuser, die Berge und das Meer? Wie sehen die Menschen aus und wie sind sie gekleidet? Ebenso die Ohren: Sie nehmen die Unterschiede in der Geräuschkulisse auf: Andere Sprachen bzw. Dialekte, Vögel, Wind und Wellen. Dann auch die Nase: Wir riechen, wie intensiv Ferienzeiten sein können. Das Essen, die Luft, die Strassen, der Wald. Alles wird sehr intensiv und eindrücklich über die Gerüche, die wir wahrnehmen, wenn wir uns Zeit lassen, das aufzunehmen. Die Haut, unser grösstes Organ, spürt ebenfalls die Luft und die Sonne, vielleicht auch den Regen. Die Seele etwas baumeln lassen, das sind die Momente, die der Urlaub uns schenkt. Reisen erfrischt, Körper, Geist und Seele.
Ferien bringen uns auch persönlich weiter im Leben. Am Reiseziel kommen neue Ideen und Inspiration für zu Hause. Wir schauen auf unser Leben aus einer anderen Perspektive. Johann Wolfgang von Goethe, der ja sehr viel unterwegs gewesen war, soll gesagt haben: «Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.» Und während Goethe sicher einen Schwerpunkt aus dem Erleben der Fremde gelegt haben wird, so ist die Bildung aus dem Aufnehmen des Neuen und Anderen auch ein Weiterkommen meiner eigenen Seele. Jede Reise ist auch inwendige Bewegung auf der lebenslangen, langen Reise zu mir selbst. Die Zeit der Ferien sind Zeiten für mich, um mir selbst näher zu kommen. Für mich sind dies immer auch Begegnungen mit meinem Gott, der mich berührt, wo ich Zeit nehme für mein eigenes Ich.
Ferien machen bedeutet aktiv zu sein. Auch wenn es Entspannung bedeutet. Es verlangt, dass ich mich auf den Weg mache. So ruft auch das Kirchenlied RG 537 die Gläubigen zur Aktivität auf: «Geh aus mein Herz, und suche Freud, in dieser lieben Sommerzeit, an deines Gottes Gaben.» - so der Text von Paul Gerhart aus dem Jahr 1653. Hinaus gehen, sich aufmachen, die Seele in Bewegung bringen, das tut einfach gut. Es ist Teil der Schöpfung, die seit Anfang an in Bewegung ist. Es entspricht unserer Veranlagung als Bewegungs-Wesen. Dabei ist nichts über die Art und Weise ausgesagt. Es müssen nicht viele sportliche Kilometer sein, keine anstrengende Wanderung. Es kann auch eine Zugreise sein oder die Fahrt mit der Bergbahn hinauf zum Punkt von dem es eine schöne Aussicht gibt.
Das erzählt auch die Bibel. Unsere biblischen Vorfahren waren von Anfang an unterwegs: Noah in der Arche hin zu einem neuen Leben unter Gottes Segen. Abraham, Isaak und Jakob mit ihren Stämmen als Nomaden. Das gesamte Gottesvolk 40 Jahre lang in der Wüste der Halbinsel Sinai auf der Flucht aus Ägypten. Die Reisen waren Teil und Bestandteil ihres Lebens und ihrer Kultur. «Ich will mit dir sein und dich segnen.» (1 Mose 26.3) – wie hier zu Isaak, ist Gott mit ihnen auf dem Weg. «Wandere ich auch im finstern Tal, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir.» (Psalm 23.4) schreibt David im bekannten Psalm. Für mich ein Leitvers fürs Leben. Gott geht mit, auch in den Ferien, die wir brauchen, um neue Kraft zu sammeln und Weisheit, die uns weiterbringt.
Ich wünsche allen Menschen, die davon gebraucht machen können, wunderbare Ferien und Momente, das Leben mit allen Sinnen ganz intensiv wahrzunehmen. Für eine glückliche Seele. Für grosse Weisheit. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Schöne Ferien! Lassen Sie es sich gut gehen!
Pfr. Johannes C. Keller
Das Evangelium – Eine Abschiedspredigt
Sonntagabend, den 23. Juni 2024 um 19:30 Uhr, Kirche Dättlikon ZH, Pfarrer Dr. Jakob Vetsch
Psalm 22,20.23-26a:
«Du, Herr, sei nicht ferne!
Du meine Stärke, eile mir zu helfen!
Verkünden will ich Deinen Namen
meinen Brüdern und Schwestern;
inmitten der Gemeinde will ich Dich preisen:
Die ihr den Herrn fürchtet, preiset Ihn!
Ihr alle vom Stamme Jakobs, ehret Ihn!
Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut
des Elenden Elend
und nicht Sein Angesicht vor ihm verborgen,
und da er zu Ihm schrie, hat er ihn erhört.
Dir danke ich's, dass ich lobpreisen kann
in grosser Gemeinde.»
Vor einigen Jahrzehnten schon wurde die damals junge Pfarrperson im Kurort Klosters von ebenfalls jungen Gästen, sogenannten «Feriengästen aus dem Unterland», gefragt: «Wie können Sie diesen Beruf ausüben?» Die Neugierigen erhielten zur Antwort: «Ich habe nur das Evangelium, die gute Botschaft, zu verkündigen; das fällt mir nicht schwer.»
Ja, das Evangelium, die gute Botschaft. – Eigentlich sind es zwei Ausdrücke, in einem Wort vereint: Ev-angelium [griechisch εὐ-αγγέλιον]. «Angelium» erinnert an den Engel, den Boten; es ist also die Botschaft.
Und «Ev, eu» kennen wir von anderen Worten her sehr wohl: Der Eu-gen ist der Wohl-geborene. Der Eu-kalyptus ist nach seinem haubenartig geschlossenen Blütenkelch benannt und heisst der Wohl-verhüllte. Und die Eu-phorie ist die Gut-gestimmtheit.[1]
Also alles «sehr okay»; wir könnten es auch englisch sagen: «very okay», und mit dem Synonym: «very fine».
Völlig auf die Spitze getrieben hat das in seiner Verkündigung der erfolgreiche Apostel Paulus. In seinen neutestamentlichen Briefen an die Gemeinden ist der Begriff «Evangelium» ganze 60 mal anzutreffen.
Schon am Anfang des Römerbriefes, des Briefes an die Christen in Rom, hält er mit seinen ersten Worten der Selbstvorstellung fest: «Paulus, Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert zur Verkündigung des Evangeliums Gottes … an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen, die in Rom sind. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unsrem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!» (Römerbrief 1,1ff.)
Verschärft wird diese Aussage durch ihn, den Apostel Paulus, in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth (2,2): «Ich beschloss, nichts unter euch zu wissen als Jesus Christus, und zwar als gekreuzigten.» Im Kontext ist klar ersichtlich, dass es dabei um die «Erweisung von Geist und Kraft» geht, um die Gotteskraft, und nicht um Menschenweisheit. «Wir reden Gottes Weisheit», fährt Paulus fort, «Gottes Weisheit in einem Geheimnis, die verborgene, die Gott von Ewigkeit her zu unsrer zukünftigen Herrlichkeit vorherbestimmt hat.»
Und dann das grosse Zitat aus dem Alten Testament (Jesaja 64,4) und vom Kirchenvater Origenes:
«Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und keinem Menschen ins Herz emporgestiegen ist, was alles Gott denen bereitet hat, die ihn lieben».
Es geht also nicht um Menschenweisheit, sondern um Offenbarung, nicht um etwas Erarbeitetes, sondern um etwas Empfangenes, etwas Geschenktes! Es geht nicht um den hohen menschlichen Intellekt, sondern um die Kraft Gottes, um die Gabe des Heiligen Geistes!
Köstlich alltäglich bringt uns die Volxbibel (1. Korinther 2,1-5) dieses Anliegen des Apostels nahe:
«Also, ihr Lieben, als ich neulich bei euch gewesen bin, hab ich ja nun echt nicht den weisen Macker markiert oder versucht, euch mit guter Rhetorik die Sachen von Gott zu erklären. Mir war vor allem wichtig, nur von Jesus zu reden und warum er an einem Kreuz hingerichtet wurde.
Und dabei war ich echt mies drauf und hatte auch echt Panik. Was ich euch dann gesagt habe, war ziemlich einfach. Ich habe nicht versucht, euch mit rhetorischen Mitteln weichzuklopfen. Was bei euch funktioniert hat, war die Kraft, die durch den heiligen Geist gekommen ist.
Ich habe das absichtlich gemacht, denn ich wollte nicht, dass eure Beziehung zu Gott auf menschliches Gelaber gebaut ist. Ihr solltet euer Vertrauen auf Gottes Power setzen.»
Immer wieder wird die paulinische Aussage getoppt, so auch im ersten Kapitel des Galaterbriefes (1,11-12):
«Ich tue euch nämlich kund, dass das von mir verkündigte Evangelium nicht von menschlicher Art ist; denn ich habe es auch nicht von einem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.»
So durfte es denn auch jener in Klosters gefragte junge Pfarrer das ganze Berufsleben – bis hierher nach Dättlikon ZH – hindurch halten, dass er sich an der guten Nachricht, an der frohen Botschaft, am Evangelium Jesu Christi orientierte, ja orient-ierte, den Blick unentwegt zum Orient, dem Sonnenaufgang, gerichtet zum Licht, das über den Tag hinweg ausströmt.
Ermutigung sprach ihm oft der kunstvoll in den Serneuser Kanzelstuhl geschnitzte Vers des Apostels aus dem 2. Brief an Timotheus (4,2) zu, der da heisst: «Predige das wort. Halt an. Es sey zu rechter Zeit, oder zur unzeit. Straffe, drüwe, ermahne mit aller Gedult u. Lehre.»[2]
Oder wie die neutestamentliche Passage später übersetzt wurde:
«Verkündige das Wort, tritt dafür ein, zur Zeit oder Unzeit, widerlege, tadle, bitte in aller Geduld, wo die Lehre es gebietet!»[3]
Vor allem tröstlich zu wissen, immer wieder: «Zur Zeit oder zur Unzeit».
Ob's Zuspruch gibt, oder Ablehnung. Es geht nicht um den Predigenden. Es ist nicht menschliche Klugheit. Im Gegenteil, in den Augen der Welt durchaus eine Torheit. Es ist nichts Erdachtes. Es ist Offenbarung.
Vielleicht am Schönsten formuliert findet sich das Evangelium Gottes (in Anlehnung an das berühmte Johannes-Wort, 1. Johannesbrief 4,16) im Werk «Der lebendige Gott» von François Mauriac:
«Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war. Er hat uns das selbst gesagt. Den lebendigen Gott, den er uns als den Vater, als unseren Vater offenbart hat, kennen wir noch unter einem anderen Namen, der sein eigentliches Wesen ausdrückt, der überall zwischen den Zeilen des Evangeliums und hinter allem steht, was der Sohn vom Vater sagt … 'Gott ist die Liebe'. Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt. Der lebendige Gott ist die lebendige Liebe.»[4]
Dass wir in dieser Liebe bleiben – und sie in uns –, darum können wir uns jeden Tag neu bemühen und sie uns schenken lassen. Es ist nicht so, dass wir immer angestrengt etwas schaffen, etwas erreichen sollten – vielmehr können wir uns geben lassen, das Herz und die Hände öffnen, aufnehmen, annehmen, und es fröhlich weiterreichen.
Pfarrer Jakob Vetsch
[1] Duden. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 4. Auflage, Band 7. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2007. Seite 191.
[2] Jakob Vetsch: Das Gotteshaus zu Serneus. Eine Festschrift. Herausgegeben von der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Klosters-Serneus. 2. Auflage 2004 (1979). Seiten 44 und 45.
[3] Zürcher Bibel 2007. Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zürich. 2. Timotheusbrief 4,2.
[4] François Mauriac: Der lebendige Gott. Vom Geheimnis meines Friedens, Seite 127 (vgl. 1. Johannes 4,16). – Zitiert in Herbert Vinçon: Spuren des Wortes. Biblische Stoffe in der Literatur. Band 2. J.F. Steinkopf, Stuttgart Hamburg 1989. Seite 427.
Gedanken zu Pfingsten Bibeltext: Römer 8.14-18
Denn die vom Geist Gottes getrieben werden, das sind Söhne und Töchter Gottes. Ihr habt doch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein, ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann sind wir auch Erben: Erben Gottes, Miterben Christi, sofern wir mit ihm leiden, um so auch mit ihm verherrlicht zu werden.
Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zur Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
Liebe Leserinnen und Leser
Jesus empfiehlt, den Geist Gottes auf- und anzunehmen wie ein Kind. Im Römerbrief folgt Paulus diesem Gedanken: Der Geist kann nur kindlich aufgenommen werden. Warum Kinder? Sie begegnen Gott unvoreingenommen. Naiv sagt man. Das kommt aus dem französischen und bedeutet kindlich oder ursprünglich.
Ich mache ein Beispiel: Sie sind mit der Familie ins Restaurant zum Essen eingeladen. Während Sie den Blick am Entrecôte vorbei zum Züri-Geschnetzelten gehen lassen, um nicht respektlos zu wirken, freuen sich Ihre Kinder, eine riesige Portion Pommes, Cola und Ketchup bestellen zu können. Das gibt es zu Hause sonst nicht. Während die Kinder mit Freude noch eine Kugel Glacé mit Rahm nehmen, sagen Sie höflich, ein Espresso als Dessert sei völlig ok. Doch Pfingsten ist nicht Espresso ohne etwas oder Geschnetzeltes mit Reis. Pfingsten ist Filet und Entrecôte, Pfingsten ist Glacé mit Rahm und Schoggi-Sauce. Pfingsten ist die Freude über den Geist. Das Geschenk, Gott erkennen zu können, mit allen Sinnen. Ungeniert und voller Freude. Verschwenderisch, denn der Geist geht niemals aus. Ewiges Feuer, nicht Wasser, das verdunstet! Himmlische Be-Geisterung.
Geist ist das Herz des Wortes Be-Geisterung. Im Wort, in der Bibel und Jesu Ansprachen, Erklärungen und Predigten, ist der Geist zu den Jüngern gekommen. Gehört haben sie es mit den Ohren – so wie alle anderen auch. Verstanden haben sie mit dem Herzen. Das konnten die anderen Menschen nicht alle. Erst musste der Geist kommen, der sie persönlich ansprach. In ihrer Sprache, erzählt die Apostelgeschichte das Pfingstwunder. In dem Moment waren die Menschen wir Kinder und liessen sich ohne Skepsis be-Geist-ern.
Eine Sprache der Begeisterung ist seit je her die Musik. Musik erreicht das Herz, erregt die Emotion und die Sehnsucht in der Tiefe unseres Geistes. Singen und Hören, es rührt uns an. Die Töne finden den Weg und werden vom Geist auf dem Weg zu uns in die jeweilige Sprache übersetzt, die es braucht, uns zu erreichen.
Das Pfingstlied «Komm, Heiliger Geist, Herre Gott», seit jeher bekannt unter dem Lateinischen Vers „Veni, Sancte Spiritu!“ ist für mich in diesem Jahr eine wunderbare Art, mich dem Geist zu öffnen:
Komm, Heiliger Geist, Herre Gott,
erfüll mit deiner Gnaden Gut,
deiner Gläub´gen Herz und Mut und Sinn,
dein brennend Lieb entzünd in ihn´.
O Herr, durch deines Lichtes Glanz,
zum Glauben du versammelt hast,
das Volk aus aller Welt Zungen.
Das sei dir, Herr, zum Lob gesungen.
Halleluja!
Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind, schreibt Paulus im Römerbrief. Das lässt meine Fantasie kindlich dem Geist die Tür zum Herzen öffnen. Die Musik hilft mir.
Ich bringe die Musik an Pfingsten mit dem Text aus dem Römerbrief zusammen: Ihr habt doch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein, ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Mit der Bitte um Vergebung, der Hoffnung, Gott könne das Schwere und Ernsthaftigkeit des Lebens durch seine Vergebung und sein Erbarmen lindern, fleht der Choral zu Gott.
Was antworten die Menschen, die Gottes Geist empfangen haben? Sie antworten mit Dank und Lobpreis: Ehre sei Gott in der Höhe!
Paulus wiederum gibt auch das vor, in einem Satz, der mir zu Herzen geht: Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zur Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
Wir sind zur Herrlichkeit berufen, da wir vom Geist in Gottes Bund gerufen sind. Der Geist lässt uns hören, was uns Menschen gesagt ist. Nur eben hören müssen wir auf ihn, sonst geht die Hoffnung an uns vorüber.
Ich gebe ihnen mit dem Beispiel der Musik mit, zuzuhören, wie lieblich Gottes Geist uns die Stimme des Vaters im Himmel hören lässt. Gloria und Amen.
Martin Luther dichtet eine weitere Strophe an den Choral, der das alles für mich sehr schön zusammenbringt:
Du heilige Glut, süsser Trost,
nun hilf uns, fröhlich und getrost,
in deinem Dienst beständig bleiben,
die Trübsal uns nicht wegtreiben.
O Herr, durch dein Kraft uns bereit
Und wehr des Fleisches Ängstlichkeit,
dass wir ritterlich ringen,
durch Tod und Leben zu dir dringen,
Halleluja!
Mit soviel Mut, fröhlich, getröstet, ja ritterlich, wie Luther schreibt, voller Geist, wünsche ich allen Menschen, die sich zum Zu-Hören be-Geistern und von der Sprache des Geistes ansprechen lassen. Ich wünsche feurige Pfingsten. AMEN
Pfarrer Johannes Keller